Sehr gute Rezension,vielen Dank! Grade die Einordnung des „Widersprüche aushalten“ ist für mich die Kernbotschaft des Romans. Alleine deshalb ist er wichtig.
Hallo und danke für deinen Kommentar! Ich stimme dir zu, muss dir aber auch widersprechen: Der Satz, "Am Ende ist der Mensch ein Mensch" ist nur dann sinnvoll UND eine wirksame Erklärung der Lage, wenn alle Menschen ihn teilen würden. Das ist nicht der Fall. Rassisten lehnen die allgemeine Gleichheit der Menschen ab. Daher ist der Satz für mich eine Plattitüde. Die Aussage: "Ende der Doppel-Moral" bewerte ich ähnlich: Es sollte tatsächlich (nach meinem Verständnis) nur eine Moral geben, diese darf und muss aber selbstverständlich Menschen unterschiedlich bewerten, je nach deren Handlungen und - ganz Kantisch- Zielen! Das ist für mich nicht Doppelmoral, sondern Moral. Liebe Grüße
Hi Max, ich habe das Buch auch letzte Woche gelesen und war sehr angetan davon. Ich bin Juli Zeh immer dankbar dafür, dass sie sich couragiert am Zeitgeist reibt. Mir selbst hilf zuweilen, Situationen besser in Relation zu setzen. Du sagtest an einer Stelle, die Nachbarn in der Dorfgemeinde waren freundlich und hilfsbereit. Ich empfand sie als hilfsbereit, aber nicht wirklich als freundlich. Das Mitgefühl mit Gote steigerte sich enorm durch die Präsenz seiner Tochter, die auch nicht wirklich sympathisch eingeführt wurde, aber als der Zusammenhang dann klar war, ruderte ich plötzlich beherzt in allen Booten. Im Grunde hat der Roman für mich persönlich vor allem Wert auf Zwischenmenschlichkeit gelegt. Verurteile nicht sofort einen Menschen wegen seiner Ansichten, sondern behalte immer den Menschen selbst im Auge. Das hat mir gefallen. Das hat mich berührt. Die Szene mit Gote in Doras Haus (dem ehemaligen Kindergarten) und den versteckten, für ihn wichtigen Gegenständen, hat mich sehr berührt. Und wir alle wussten, dass auch er die Bank am Wald gefertigt hat. Ein wundervoller, wichtiger Roman. Mögen viele ihn lesen und die Gegenwart besser verstehen. P.S. Ich las diese Woche auch "Eurotrash" von Christian Kracht. Falls du ihn noch nicht gelesen hast, eine ganz dringende Empfehlung. Meinem Empfinden nach einer der besten Romane in deutscher oder irgendeiner Sprache der letzten Jahre! Liebe Grüße, Marco
Hallo Marco, vielen Dank für deinen Kommentar! Ich finde es toll, dass du Gotes Tochter erwähnst und ihre Bedeutung betonst: Das habe ich ganz ähnlich erfahren beim Lesen, auch ich habe über sie Sympathie zu Gote entwickelt. Gleichzeit erschien mir dieser Weg Zehs auch etwas kalkuliert, da ein 10jähriges Mädchen natürlich Sympathieträgerin ist und ihren Vater gewissermaßen "mitzieht". Aber du hast Recht, zunächst wird sie ja eher als kratzbürstig und verschroben dargestellt. Der Wert der offenen Zwischenmenschlichkeit und die Betonung von Gemeinsamkeit haben mir auch gefallen. Ganz besonders warm aufgehoben gefühlt habe ich mich aber in Doras Weigerung, sich weltanschaulichen Gewissheiten hinzugeben. Ich bewunderte sie für ihren Drang, die Geschehnisse um Corona und um den Umweltschutz eigenständig zu reflektieren und differenziert zu bewerten. Das ist wohl meine eigene gedankliche Heimat. Vielen Dank für die Empfehlung, der auffällige Mann mit dem markanten Gesicht auf dem Cover von "Eurotrash" hatte schon meine Aufmerksamkeit erregt, nun ist es endgültig interessant für mich. Liebe Grüße
Genau, das Kind wurde zunächst als recht anstrengend dargestellt, was aber auch eine gewisse Reflexion Doras war. Sie ist ja nicht umsonst aus dem Großstadtdschungel ausgebrochen. Sie hatte von allem genug und das Letzte was sie wollte war, sofort Freundschaften zu schließen. Vor allem nicht zu einem Kind. Kinder neigen eben auch sehr schnell zur Vereinnahmung und das wollte sie ja nicht. Es ist dann aber so zärtlich von Frau Zeh, wie langsam die Grenzen aufweichen und in Dora selbst wieder das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Zwischenmenschlichkeit und gemeinsamen Aktivitäten reift. Und ja, ihre eigenständige Reflexion in Bezug auf die Geschehnisse empfand ich auch als sehr gelungen und es ist für mich wirklich Trost in dieser Zeit. Mensch...früher konnte sie mit Robert bei Rotwein bis tief in die Nacht über alles plaudern und plötzlich existiert das nicht mehr und ihrem Partner ist nur noch wichtig, ob sie auch den Müll gut trennt (das rebellische Verhalten, die Flaschen gezielt im nicht dafür vorgesehenen Behälter zu entsorgen, war doch klasse!!! Und ein solch verständlicher Akt der Résistance. Beziehungsweise ein letzter Akt der Verzweiflung.). Ach...ich will einfach nur sagen, dass ich ihr sehr sehr dankbar für dieses Buch bin!
Lieber Marco! Ich habe dieses Buch eben fertig gelesen und bin zutiefst berührt und beeindruckt. Und dazu kommt noch dieser Beitrag von dir und diesen finde ich in vollkommener Übereinstimmung mit meiner eigenen Beurteilung. Mir war dieser Artikel als Antwort erstmals so positiv aufgefallen, dass ich sofort nach dem Verfasser blickte und zu meiner größten Freude dich fand. Ja - ich bin stolz deine Abonnentin zu sein! Und jetzt werde ich mir, laut deiner Empfehlung, „Eurotrash“ herunterladen. Ganz liebe Grüße :-)
Ich habe das Buch gerade ausgelesen und stimme dir in ganz vielen Punkten zu. Mir kam Dora auch manchmal zu sehr als Instrument vor, mit dem Zeh verschiedene Standpunkte ausdiskutieren möchte. Dadurch kam mir die Figur nicht so nah. Aber trotzdem finde ich das Buch gelungen. Der Satz mit dem „Widersprüche aushalten“, ist sehr ähnlich zu einem Zitat von Ferdinand von Schirach, der auch sagt, dass man nicht immer den Konsens erreichen kann, sondern dass man in einer Gesellschaft auch den friedlichen Dissens aushalten sollte. Das ist ähnlich und bedeutet nicht, dass man Rassismus toleriert - aber man sollte im Dialog bleiben. Eine Spaltung der Gesellschaft führt nur zu weiteren Verfestigungen der Standpunkte und damit ist niemandem geholfen. Ich finde es auch super, dass Zeh hier keine eindeutige Antwort gibt, sondern dass es eben nicht immer Gut und Böse gibt und die Welt dafür viel zu komplex ist - besonders im direkten gemeinsamen Zusammenleben. Ich finde es auch großartig, dass sie die Geschichte zu Corona-Zeiten spielen lässt. Viele Verlage haben ihren Autoren/innen davon abgeraten, weil davon keiner lesen wolle. Mir tat es aber so gut, davon zu lesen, und die ganze Situation mal aus einer anderen Perspektive zu sehen. Ich hoffe, es haben sich noch mehr Schreibende über diese Verlagspolitik hinweggesetzt.
Julie Zeh blieb mir bislang etwas fremd. Diese Rezension regt mich nun an, es noch einmal mit ihr zu versuchen. Die Fragestellungen finde ich sehr spannend. In der Tat herrscht um die vergangenen 3 Jahre bislang literarisch eine seltsame Stille. Zudem bin ich im April 20 tatsächlich auch in ein kleines Dorf gezogen, schöne Natur, dennoch verkehrsgünstig gelegen, in dem ich aber niemand kannte, ca 300 km von meinem bisherigen Wohnort entfernt. Tatsächlich habe ich es dank meines charmanten Hundes geschafft, auch in diesen Zeiten neue Kontakte zu knüpfen. Mit Maske lief da niemand rum. Ich kann unterstützend zuhören, und so kam es, dass mir etliche bis dahin wildfrende Menschen aller Art aus dem Dorf auf Waldbänken ihr ganzes Leben erzählten. Sie bedankten sich anschliessend oft überschwänglich. Das verwunderte mich und zeigte mir, wie sehr wir alle Kontakt, Verständnis und Verbindung brauchen. Mir tat es auch sehr gut, mich nützlich und wertgeschätzt zu fühlen in einer herausfordernden, sehr zurück gezogenen Lebenssituation. Es war spannend , die Menschen und das Dorf in dieser Zeit kennen zu lernen und die geheime Widerständigkeit vieler auf unterschiedlichsten Ebenen. Da berührt mich dieser Roman wohl auch ganz persönlich . Vielen Dank für die Rezension, die die wesentlichen Linien und Themen aufzeigt.
Das ist der Grund, warum ich mit Menschen nicht mehr klar komme. Eben wegen diesem Graben. Wenn man nicht mehr sich auf andere Argumente einlassen kann ( ich sage nur geimpfte vs.ungeimpfte) bleibe ich lieber für mich.
Danke Max für diese tolle und für mich hilfreiche Rezension. Ich habe den Roman im letzten Jahr gekauft und erst vor ein paar Tagen mit dem Lesen begonnen. Ich möchte meinen SUB abbauen bevor ich ein neues Buch kaufe 😫Nun habe ich 150 Seiten gelesen, bin also beim Steffen angelangt und das Buch langweilt mich etwas obwohl es sehr gut geschrieben ist, die Menschen toll charakterisiert und mich immer wieder schmunzeln lässt. Das Thema ist eigentlich auch interessant. Und trotzdem packt mich dieser Roman nicht. Ganz anders ging es mir bei Unterleuten. Dieser Roman hat mich fasziniert und verblüfft, ein richtiger Pageturner. Den Unterschied der beiden Bücher hast du treffend beschrieben - es ist beim Einen “Unter”Leuten und beim anderen “Über” Menschen und daran liegt es wohl, dass ich beim einen Buch so drin war und bei diesem nicht. Ich weiss nun gar nicht, ob “Über Menschen” noch etwas für mich bereit hält, das die Weiterlektüre lohnenswert macht 🤔 Herzliche Grüße aus Zürich
Vielen Dank für diese Rezension, der ich nur zustimmen kann. Ich bin noch am Lesen und weiß nicht, ob Doras Leben auf dem Lande in einen tragischen Abgrund gerät, aber bis jetzt verbreitet Juli Zeh mit ihrem neuen Buch in mir einen Optimismus, den ich mir in den letzten Jahren lange selbst herbeibeten musste. Die Protagonisten kommen ins Gespräch, zeigen sich menschlich, wenn auch nur in Augenblicken der Handlung, die zudem noch aktuell ist. "Jeder versucht auf seine Weise, mit dieser erbarmungslosen Welt klarzukommen. Etwas Positives hinzuzufügen, etwas Sinn in das Durcheinander zu bringen. Jeder besitzt den Instinkt, anderen zu helfen, egal, wie stark oder verkümmert der Antrieb im Einzelfall sein mag." Diese natürliche Grundeinstellung der Menschen lässt sie auch zu Fanatikern, Hasspredigern und Tätern werden. Juli Zeh arbeitet mit Ihrem neuen Buch an dem Sinn, der die Menschen wieder in eine Gesellschaft integriert und miteinander agieren lässt.
Danke für deinen Kommentar! Auch mir geht es so, dass ich in den Romanen von Zeh häufig einen sozialen Optimismus (oder zunächst mal ein hemdsärmeliges Interesse, an der Gemeinschaft zu arbeiten) erkenne, der mich unmittelbar beflügelt, mittelbar aber meine Rolle in der Gesellschaft reflektieren lässt. Deine Ansicht, dass jeder Mensch einen hilfsbereiten Instinkt besitzt, klingt schön, ich hoffe, du hast Recht damit. Vermutlich habe ich eine ähnliche Meinung, aber dieser liebevolle Instinkt muss wohl auch geschult und gehegt werden. Menschen, die vom Leben fertiggemacht werden (Harz 4, alleinerziehend, ausgegrenzt, abgestempelt, marginalisiert...) haben ja vermutlich hin und wieder den Eindruck, in einer scheißkalten Welt des Egoismus zu leben, in dem die einzige Konsequenz der eigene Egoismus ist. Die Extremfolgen sind wohl bekannt - Hassprediger, Fanatiker. Die meisten würden wohl mehr oder minder still leiden und alle paar Jahre eine Partei wählen, die ihre prekäre Lage deutet und Schuldige aufzeigt. Da ist mir Zehs Integrationsangebot (wie du so schön schreibst) in Romanform sehr lieb! Liebe Grüße
@@KainUndAbelBooks Lieber Max, nur als Ergänzung: Die Aussagen über den menschlichen Instinkt stammen aus dem Roman selbst. Dora denkt im Kapitel 17 über den Gutmenschen nach.
Wie freue ich mich gerade über deine Rezension. Hatte mit dem Hörbuch geliebäugelt, war aber nicht sicher weil noch keine anderen Rezensionen und noch nichts anderes von ihr gelesen. Ich denke jetzt wird’s wohl was werden. Dank dir 👍🏼
Hi Max, ich kann vieles aus deiner Rezension teilen. Da ich zwischen meinen Wohnsitzen in Berlin-Kreuzberg und in der Uckermark hin- und herpendle, war für mich die Lektüre besonders spannend. Dennoch hatte ich mit Doras Toleranz gegenüber Gote, dem Dorfnazi, ein Problem. Auch wenn sie im inneren Monolog sein rechtsradikales Denken und Tun ablehnt, geht sie kaum in die direkte Auseinandersetzung und blendet dieses zunehmend aus. Wäre Dora keine biodeutsche, weiße, heterosexuelle Frau gewesen, was wäre dann passiert? Hätte Gote seine neue Nachbarin, wenn sie Muslimin oder schwarz gewesen wäre, abgestochen oder ihr Haus abgefackelt, wie er das mit Flüchtlingsunterkünften tut? Daher frage ich mich, wie es Minderheiten geht, wenn sie dieses Buch lesen? Ich konnte aus meiner persönlichen Minderheiten-Perspektive dem Dorfnazi Gote gegenüber bis zuletzt kein bisschen Empathie entgegenbringen und erwischte mich nach seinem Ableben sogar bei dem Gedanken: gut so, nun können sich Schwule und Ausländer im Dorf ein Stück sicherer fühlen. Dora hat als heterosexuelle, weiße Deutsche das Privileg, auch wenn sie "links-liberal" denkt, mit einem Nazi als Nachbarn auskommen zu dürfen. Sie hat die Wahl, andere haben diese nicht. Dürfen wir, nur weil unser Nachbar auch ein netter Mensch ist, ihn in seinem Denken und Tun sein lassen, auch wenn er die Freiheit und das Leben anderer bedroht? Ist die Formel keine Haltung zu zeigen ("Nazis sind auch nur Menschen") als Gegenstück zu "zu viel" Haltung (Greta Thunberg: "How dare you?") wirklich der geeignete Weg aus einer gespaltenen Gesellschaft?
Lieber Max, erst einmal vielen Dank für diese ausführliche und differenzierte Rezension. Weitaus besser, als was die Südeutsche z.B. dazu zu sagen hatte. Auch ein Interview mit der Autorin auf Arte war eher flach. Aber bei nur 6 Minuten Länge ist das wahrscheinlich auch nicht verwunderlich. Was die Sprache betrifft sagt sie da übrigens, dass sie sich als Unterhaltungsschriftstellerin sieht. Ansonsten habe sie der Topos der unmöglichen Beziehung gereizt. Nun ja. Ich habe diesen Roman nicht gelesen und leider hat bisher nichts, was ich über ihn gehört habe dazu geführt, dass ich das ändern möchte (auch deine Rezension nicht). Das hat viele Gründe. Die zwei wichtigsten sind, dass ich im Moment keinen Corona-Roman brauche. Ich lebe in einem Land, in dem bisher nur 8% der Bevölkerung geimpft sind und der längste und restriktivste Lockdown Europas immer noch nicht aufgehoben ist. Das Thema ist mir zu nahe am alltäglichen Krampf. Der andere Grund ist, die unmögliche Beziehung, die die Autorin so reizvoll findet. Ja, mir ist klar, dass sie als Provokation gedacht ist. Aber Provokation wozu, was ist da die Stoßrichtung? Mir, die ich aus einer vom Holocaust betroffenen Familie komme, ist nicht klar, was die Annäherung an Rechtsradikale bewirken soll. Ich fürchte, dass Juli Zeh mir nicht plausibel erklären kann wie die Debatte jenseits der Ideologien mit jemandem aussehen soll, der meine Existenz als Beweis dafür sieht, dass die Gaskammern nicht groß genug waren. Ich weiß halt nicht, wie das nicht einfach nur ins Verharmloserlager abrutschen kann, besonders wenn es dann auch noch mit einer dem Unterhaltungsroman entstammenden Sprache gepaart wird. Ob es bei Juli Zeh wirklich so ist, weiß ich nicht, fürchte aber, dass ich keine Lust habe, es herauszufinden.
Hallo, vielen Dank für deinen Kommentar! Ich habe etwas Zeit und Abstand gebraucht, um auf deine Fragen und Einwände zu antworten. Jetzt will ich das gerne tun, soweit ich das kann. Zunächst einmal kann ich nachvollziehen, dass du keine Lust auf einen Roman zum Thema hast, das uns ohnehin überall entgegenschlägt - dieses Gefühl teilen vermutlich viele. Ich persönlich bin in der Hinsicht recht hart im Nehmen, vielleicht auch entsprechend unempfindlich. Ich informiere mich extrem gerne über Corona und die entsprechenden gesundheitlichen, rechtlichen und sonstigen Themen im Umkreis. Auf deine Frage, was das Buch über den Umgang mit Holocaustleugnern oder Holocaustfans aussagen kann, kann ich nur antworten: Nichts. Was sollte solche Taten rechtfertigen oder verständlich machen? Nichts! Die Frage ist nur, ob du mit diesem Einwand Juli Zehs Roman triffst. Der Antiheld Gote äußert sich homophob und sicher auch fremdenfeindlich, laut seiner Aussage ist er kein Nazi. Mit dem Holocaust hat dieser Roman ja nur dann zu tun, wenn wir Leser die Verbindungslinien entsprechend ziehen: gegen Ausländer - AfD - Nazi. Gote tut das nicht. Diese Linien wählen sicher einige Menschen (und oft genug gibt es Indizien, die diesen Schluss nahe legen), aber sie sind nun mal nicht zwingend. Auch Gote und andere Dorfbewohner sind nicht so klar auf die menschenverachtenden Ideologien der Nazis zurückzuführen. Es gibt - so sagt der Roman wohl - für manche Menschen eine politische Heimat in der AfD, die nicht Neonazis sind. Ob wir - Linken, Toleranten, Progressiven etc. - den Dialog mit diesen Menschen suchen wollen, soll jeder für sich klären. Ich tue es jedenfalls. Die Ineinssetzung von der Wahl der AfD, der Kritik der linken Politik und einer unterstellten Begrüßung des Holocaust ist eine unfaire (und mit meinem möglichst vorurteilsbewussten Streben nicht vereinbare) Verurteilung. Das möchte ich dir jetzt auch gar nicht unterstellen. Ich vermute nur, dass Juli Zeh in Dora eine Figur erschaffen wollte, die sich zwischen dem totalitären Verhalten und Denken ihres linksliberalen Freundes und dem totalitären Verhalten und Denken des rechten Gotes wiederfindet. Wie werten wir Leser nun? Diese Frage mag provozieren und vielleicht auch eine (unangebrachte) Parallelität der Meinungen andeuten - aber in meinen Augen trifft sie damit den wunden Punkt der gegenwärtigen Debatte. Liebe Grüße
@@svenmuller9468 Vielen Dank für den Kommentar! Nun ja, ich schreibe ja nicht über das Buch, sondern beschreibe meinen Entscheidungsprozess. Dabei habe ich natürlich auch etwas über das Buch herausgefunden, aber halt nur durch andere Medien gefiltert. Und ein Baustein in diesem Prozess ist eben Max Video. Eine, wie ich ja sage sehr gute Rezension. Dass ich seine Meinung nicht in allen Aspekten teile, schmälert das übrigens nicht im Geringsten. Ansonsten noch einen schönen Sonntag!
Die Lektüre von Unterleuten ist sicher hilfreich als Vergleichsfläche für Über Menschen, aber direkt notwendig ist es nicht. Juli Zeh sieht zwischen Stadt und Land einen wesentlichen Unterschied, darum drehen sich einige ihrer Geschichten. Nur die Herleitung und Auslegung dieses Unterschieds ist in beiden Werken doch nicht zu vergleichen. Liebe Grüße
Ich habe das Buch auch schon hier liegen. Vielen Dank für deine Rezension, freue mich jetzt umso mehr auf das Buch. PS: Hast du eine neue Kamera? Die Videoqualität war diesmal so gestochen scharf 😄
Sehr gerne! Gut beobachtet, Sherlock, ich habe meine Canon-Kamera noch einmal ausgegraben und verwendet, da ich mittlerweile gerafft habe, wie ich die Daten auf den Computer bekomme - toll! Jetzt habe ich nur ein kleines Sound-Problem. Aber so ist wohl das Leben - ein Tappen von einer Baustelle in die nächste. ;-) Grüße
Ich finde Zehs Sprache sehr gewählt. Man muss wohl bedenken, dass sie Juristin ist. Daher tendiert sie nicht zum blumigen. Allerdings habe ich Über Menschen noch nicht gelesen. Wahrscheinlich lese ich erstmal Unter Leuten. Ich erinnere mich, das ihr in der Vergangenheit vorgeworfenen wurde, ihre Sprache sei zu schön für den Buchinhalt. Auf alle Fälle darf man sich freuen so eine hochintelligente, politisch wache Schriftstellerin lesen zu dürfen! Für Unter Leuten hat sie übrigens 10 Jahre gebraucht sagt sie! Mit hineindenken!
Hallo Gero, danke für deinen Kommentar! Juli Zehs beruflicher Hintergrund schimmert in einigen Werken merklich durch die Seiten, auch in Über Menschen musste ich einige Male daran denken. Besonders bei der Frage um Gotes Schuld bei einem Handgemenge auf einem Marktplatz. Hier wird die Schuldfrage nicht abschließend geklärt, sondern an den Leser delegiert. Auch ich genieße es, einen Roman einer intelligenten und politisch engagierten Autorin zu lesen! Mein sprachlichen Eindruck ist da doch leicht abweichend. Zwar bewundere ich die dynamischen Figurenkonstellationen, die durch Zehs flotte Schreibe schnell in ihren Grundzügen erkennbar sind. Auch die Tonfälle der Wirtschaft und der Werbung kann sie gut nachahmen. Aber die Innenperspektive, also alles, was ich eher das Psychologische nennen würde, gerät mir bei Zeh häufig zu sloganhaft und zu abrupt. Feine Nuancen und sanfte Prozesse in Figuren sehe ich da selten. Aber davon abgesehen finde auch ich ihre Sprache schön. Grüße
Scheint eine echt interessante Idee von Juli Zeh zu sein :3 Habe vergangenen Monat ,,Leere Herzen'' von ihr gelesen, was eine ähnlich provokante Ausgangslage hat und sich auch zum Teil mit dem Rechtsruck in Deutschland beschäftigt. Lustigerweise spielt es in 2020 und nun ja ... es kam eben anders, wie wir alle wissen XD Kann das Buch tatsächlich auch empfehlen, auch wenn mich das Ende etwas enttäuscht hat und sehr wirr war. Aber es war zynisch, und mit Zynismus kann man mich meistens abholen :3 ,,Über Menschen'' wird wohl aber auch auf meine WuLi wandern :) Sehr gut formulierte Rezi :3 ~ Sana
Hallo Sana, danke für deine Antwort und den weiteren Tipp zu "Leere Herzen" (ein Buch, das ich auch schon gelesen habe und nicht so sehr mochte wie Unterleuten oder Über Menschen). Ja, Juli Zeh hat offenbar ein ganz besonderes Faible für politische und soziale Extremsituationen, in denen ihre Heldinnen und Helden neue Wege finden und bestreiten müssen. Ich finde das meistens auch sehr interessant und lasse mich gerne darauf ein. Corpus Delicti, das auch als Schullektüre verwendet wird, fand ich zum Beispiel aber ziemlich schlecht. Da liegen Licht und Schatten (für mein Empfinden) nah beieinander. Liebe Grüße
Hallo Max, ist js schon ne Weile her, dass ich das Buch gelesen habe. Grade bin ich auf define Rezension gestoßen, nachdem ich schon vor lànerer Zeit deinKanal abonniert habe. Um es direkt zu sagen: das Buch fand ich schlimm und schlimmer. Priviligierte vollkommen unsympathische Großstadtgöre mir super tollem Oberarzt-Daddy 😅, die es sich leisten kann, mal even ein altes Haus umzubauen und natürlich aus einer Berlin Werbefirma kommt ... oh je, wie laaangweilig! Aber das schlimmste ist die politics here Aussage: hey, wenn auch das Horst Wessel Lied gegrölt wird, ein Mann Krankenhaus reif von dem Nazi geschlagen wurde und er dann auch noch Lichtenhagen gefeiert hat, hey, was ist schon dabei. Auch der schrecklich Duumme Gote ist doch auch nur ein Mensch. Ach, wie süß er doch mit seiner verwarlosten Tochter umgeht... Ich kann nur für uns alle hoffen, dass uns diese Dummheit der Aussage von Juli Zeh mit der immer màchtigeren AfD nicht eines Tages um die Ohren gehauen wird und wir uns alley nicht fragen müssen: warm sind wir nicht früher eingeschritten. Abgesehen ist dieses ärgerliche Buch auch literarisch sehr sehr schlecht.
Sehr gute Rezension,vielen Dank! Grade die Einordnung des „Widersprüche aushalten“ ist für mich die Kernbotschaft des Romans. Alleine deshalb ist er wichtig.
Am Ende ist der Mensch ein Mensch... Ich finde, es ist Zeit des Endes der Doppel-Moral. Absolut gelungenes Buch für weitere Denkweisen.
Hallo und danke für deinen Kommentar!
Ich stimme dir zu, muss dir aber auch widersprechen: Der Satz, "Am Ende ist der Mensch ein Mensch" ist nur dann sinnvoll UND eine wirksame Erklärung der Lage, wenn alle Menschen ihn teilen würden. Das ist nicht der Fall. Rassisten lehnen die allgemeine Gleichheit der Menschen ab. Daher ist der Satz für mich eine Plattitüde.
Die Aussage: "Ende der Doppel-Moral" bewerte ich ähnlich: Es sollte tatsächlich (nach meinem Verständnis) nur eine Moral geben, diese darf und muss aber selbstverständlich Menschen unterschiedlich bewerten, je nach deren Handlungen und - ganz Kantisch- Zielen! Das ist für mich nicht Doppelmoral, sondern Moral.
Liebe Grüße
Hi Max, ich habe das Buch auch letzte Woche gelesen und war sehr angetan davon. Ich bin Juli Zeh immer dankbar dafür, dass sie sich couragiert am Zeitgeist reibt. Mir selbst hilf zuweilen, Situationen besser in Relation zu setzen. Du sagtest an einer Stelle, die Nachbarn in der Dorfgemeinde waren freundlich und hilfsbereit. Ich empfand sie als hilfsbereit, aber nicht wirklich als freundlich. Das Mitgefühl mit Gote steigerte sich enorm durch die Präsenz seiner Tochter, die auch nicht wirklich sympathisch eingeführt wurde, aber als der Zusammenhang dann klar war, ruderte ich plötzlich beherzt in allen Booten. Im Grunde hat der Roman für mich persönlich vor allem Wert auf Zwischenmenschlichkeit gelegt. Verurteile nicht sofort einen Menschen wegen seiner Ansichten, sondern behalte immer den Menschen selbst im Auge. Das hat mir gefallen. Das hat mich berührt. Die Szene mit Gote in Doras Haus (dem ehemaligen Kindergarten) und den versteckten, für ihn wichtigen Gegenständen, hat mich sehr berührt. Und wir alle wussten, dass auch er die Bank am Wald gefertigt hat. Ein wundervoller, wichtiger Roman. Mögen viele ihn lesen und die Gegenwart besser verstehen. P.S. Ich las diese Woche auch "Eurotrash" von Christian Kracht. Falls du ihn noch nicht gelesen hast, eine ganz dringende Empfehlung. Meinem Empfinden nach einer der besten Romane in deutscher oder irgendeiner Sprache der letzten Jahre! Liebe Grüße, Marco
Hallo Marco, vielen Dank für deinen Kommentar!
Ich finde es toll, dass du Gotes Tochter erwähnst und ihre Bedeutung betonst: Das habe ich ganz ähnlich erfahren beim Lesen, auch ich habe über sie Sympathie zu Gote entwickelt. Gleichzeit erschien mir dieser Weg Zehs auch etwas kalkuliert, da ein 10jähriges Mädchen natürlich Sympathieträgerin ist und ihren Vater gewissermaßen "mitzieht". Aber du hast Recht, zunächst wird sie ja eher als kratzbürstig und verschroben dargestellt.
Der Wert der offenen Zwischenmenschlichkeit und die Betonung von Gemeinsamkeit haben mir auch gefallen. Ganz besonders warm aufgehoben gefühlt habe ich mich aber in Doras Weigerung, sich weltanschaulichen Gewissheiten hinzugeben. Ich bewunderte sie für ihren Drang, die Geschehnisse um Corona und um den Umweltschutz eigenständig zu reflektieren und differenziert zu bewerten. Das ist wohl meine eigene gedankliche Heimat.
Vielen Dank für die Empfehlung, der auffällige Mann mit dem markanten Gesicht auf dem Cover von "Eurotrash" hatte schon meine Aufmerksamkeit erregt, nun ist es endgültig interessant für mich.
Liebe Grüße
Genau, das Kind wurde zunächst als recht anstrengend dargestellt, was aber auch eine gewisse Reflexion Doras war. Sie ist ja nicht umsonst aus dem Großstadtdschungel ausgebrochen. Sie hatte von allem genug und das Letzte was sie wollte war, sofort Freundschaften zu schließen. Vor allem nicht zu einem Kind. Kinder neigen eben auch sehr schnell zur Vereinnahmung und das wollte sie ja nicht. Es ist dann aber so zärtlich von Frau Zeh, wie langsam die Grenzen aufweichen und in Dora selbst wieder das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Zwischenmenschlichkeit und gemeinsamen Aktivitäten reift. Und ja, ihre eigenständige Reflexion in Bezug auf die Geschehnisse empfand ich auch als sehr gelungen und es ist für mich wirklich Trost in dieser Zeit. Mensch...früher konnte sie mit Robert bei Rotwein bis tief in die Nacht über alles plaudern und plötzlich existiert das nicht mehr und ihrem Partner ist nur noch wichtig, ob sie auch den Müll gut trennt (das rebellische Verhalten, die Flaschen gezielt im nicht dafür vorgesehenen Behälter zu entsorgen, war doch klasse!!! Und ein solch verständlicher Akt der Résistance. Beziehungsweise ein letzter Akt der Verzweiflung.). Ach...ich will einfach nur sagen, dass ich ihr sehr sehr dankbar für dieses Buch bin!
Lieber Marco! Ich habe dieses Buch eben fertig gelesen und bin zutiefst berührt und beeindruckt. Und dazu kommt noch dieser Beitrag von dir und diesen finde ich in vollkommener Übereinstimmung mit meiner eigenen Beurteilung. Mir war dieser Artikel als Antwort erstmals so positiv aufgefallen, dass ich sofort nach dem Verfasser blickte und zu meiner größten Freude dich fand. Ja - ich bin stolz deine Abonnentin zu sein! Und jetzt werde ich mir, laut deiner Empfehlung, „Eurotrash“ herunterladen. Ganz liebe Grüße :-)
Ich habe das Buch gerade ausgelesen und stimme dir in ganz vielen Punkten zu. Mir kam Dora auch manchmal zu sehr als Instrument vor, mit dem Zeh verschiedene Standpunkte ausdiskutieren möchte. Dadurch kam mir die Figur nicht so nah. Aber trotzdem finde ich das Buch gelungen. Der Satz mit dem „Widersprüche aushalten“, ist sehr ähnlich zu einem Zitat von Ferdinand von Schirach, der auch sagt, dass man nicht immer den Konsens erreichen kann, sondern dass man in einer Gesellschaft auch den friedlichen Dissens aushalten sollte. Das ist ähnlich und bedeutet nicht, dass man Rassismus toleriert - aber man sollte im Dialog bleiben. Eine Spaltung der Gesellschaft führt nur zu weiteren Verfestigungen der Standpunkte und damit ist niemandem geholfen. Ich finde es auch super, dass Zeh hier keine eindeutige Antwort gibt, sondern dass es eben nicht immer Gut und Böse gibt und die Welt dafür viel zu komplex ist - besonders im direkten gemeinsamen Zusammenleben.
Ich finde es auch großartig, dass sie die Geschichte zu Corona-Zeiten spielen lässt. Viele Verlage haben ihren Autoren/innen davon abgeraten, weil davon keiner lesen wolle. Mir tat es aber so gut, davon zu lesen, und die ganze Situation mal aus einer anderen Perspektive zu sehen. Ich hoffe, es haben sich noch mehr Schreibende über diese Verlagspolitik hinweggesetzt.
Ein ungewöhnlich und überraschend kluger und talentierter Beitrag.
Julie Zeh blieb mir bislang etwas fremd. Diese Rezension regt mich nun an, es noch einmal mit ihr zu versuchen. Die Fragestellungen finde ich sehr spannend. In der Tat herrscht um die vergangenen 3 Jahre bislang literarisch eine seltsame Stille.
Zudem bin ich im April 20 tatsächlich auch in ein kleines Dorf gezogen, schöne Natur, dennoch verkehrsgünstig gelegen, in dem ich aber niemand kannte, ca 300 km von meinem bisherigen Wohnort entfernt. Tatsächlich habe ich es dank meines charmanten Hundes geschafft, auch in diesen Zeiten neue Kontakte zu knüpfen. Mit Maske lief da niemand rum. Ich kann unterstützend zuhören, und so kam es, dass mir etliche bis dahin wildfrende Menschen aller Art aus dem Dorf auf Waldbänken ihr ganzes Leben erzählten. Sie bedankten sich anschliessend oft überschwänglich. Das verwunderte mich und zeigte mir, wie sehr wir alle Kontakt, Verständnis und Verbindung brauchen. Mir tat es auch sehr gut, mich nützlich und wertgeschätzt zu fühlen in einer herausfordernden, sehr zurück gezogenen Lebenssituation. Es war spannend , die Menschen und das Dorf in dieser Zeit kennen zu lernen und die geheime Widerständigkeit vieler auf unterschiedlichsten Ebenen. Da berührt mich dieser Roman wohl auch ganz persönlich . Vielen Dank für die Rezension, die die wesentlichen Linien und Themen aufzeigt.
Das Buch sollten sich viele Menschen und, vorallem, Politiker durchlesen.
Kann man so stehen lassen, auch wenn ich das brennende Reisigbündel auspusten möchte.
Das ist der Grund, warum ich mit Menschen nicht mehr klar komme. Eben wegen diesem Graben. Wenn man nicht mehr sich auf andere Argumente einlassen kann ( ich sage nur geimpfte vs.ungeimpfte) bleibe ich lieber für mich.
Danke Max für diese tolle und für mich hilfreiche Rezension. Ich habe den Roman im letzten Jahr gekauft und erst vor ein paar Tagen mit dem Lesen begonnen. Ich möchte meinen SUB abbauen bevor ich ein neues Buch kaufe 😫Nun habe ich 150 Seiten gelesen, bin also beim Steffen angelangt und das Buch langweilt mich etwas obwohl es sehr gut geschrieben ist, die Menschen toll charakterisiert und mich immer wieder schmunzeln lässt. Das Thema ist eigentlich auch interessant. Und trotzdem packt mich dieser Roman nicht. Ganz anders ging es mir bei Unterleuten. Dieser Roman hat mich fasziniert und verblüfft, ein richtiger Pageturner. Den Unterschied der beiden Bücher hast du treffend beschrieben - es ist beim Einen “Unter”Leuten und beim anderen “Über” Menschen und daran liegt es wohl, dass ich beim einen Buch so drin war und bei diesem nicht. Ich weiss nun gar nicht, ob “Über Menschen” noch etwas für mich bereit hält, das die Weiterlektüre lohnenswert macht 🤔
Herzliche Grüße aus Zürich
Vielen Dank für diese Rezension, der ich nur zustimmen kann. Ich bin noch am Lesen und weiß nicht, ob Doras Leben auf dem Lande in einen tragischen Abgrund gerät, aber bis jetzt verbreitet Juli Zeh mit ihrem neuen Buch in mir einen Optimismus, den ich mir in den letzten Jahren lange selbst herbeibeten musste. Die Protagonisten kommen ins Gespräch, zeigen sich menschlich, wenn auch nur in Augenblicken der Handlung, die zudem noch aktuell ist. "Jeder versucht auf seine Weise, mit dieser erbarmungslosen Welt klarzukommen. Etwas Positives hinzuzufügen, etwas Sinn in das Durcheinander zu bringen. Jeder besitzt den Instinkt, anderen zu helfen, egal, wie stark oder verkümmert der Antrieb im Einzelfall sein mag." Diese natürliche Grundeinstellung der Menschen lässt sie auch zu Fanatikern, Hasspredigern und Tätern werden. Juli Zeh arbeitet mit Ihrem neuen Buch an dem Sinn, der die Menschen wieder in eine Gesellschaft integriert und miteinander agieren lässt.
Danke für deinen Kommentar!
Auch mir geht es so, dass ich in den Romanen von Zeh häufig einen sozialen Optimismus (oder zunächst mal ein hemdsärmeliges Interesse, an der Gemeinschaft zu arbeiten) erkenne, der mich unmittelbar beflügelt, mittelbar aber meine Rolle in der Gesellschaft reflektieren lässt.
Deine Ansicht, dass jeder Mensch einen hilfsbereiten Instinkt besitzt, klingt schön, ich hoffe, du hast Recht damit. Vermutlich habe ich eine ähnliche Meinung, aber dieser liebevolle Instinkt muss wohl auch geschult und gehegt werden. Menschen, die vom Leben fertiggemacht werden (Harz 4, alleinerziehend, ausgegrenzt, abgestempelt, marginalisiert...) haben ja vermutlich hin und wieder den Eindruck, in einer scheißkalten Welt des Egoismus zu leben, in dem die einzige Konsequenz der eigene Egoismus ist. Die Extremfolgen sind wohl bekannt - Hassprediger, Fanatiker. Die meisten würden wohl mehr oder minder still leiden und alle paar Jahre eine Partei wählen, die ihre prekäre Lage deutet und Schuldige aufzeigt.
Da ist mir Zehs Integrationsangebot (wie du so schön schreibst) in Romanform sehr lieb!
Liebe Grüße
@@KainUndAbelBooks Lieber Max, nur als Ergänzung: Die Aussagen über den menschlichen Instinkt stammen aus dem Roman selbst. Dora denkt im Kapitel 17 über den Gutmenschen nach.
Wie freue ich mich gerade über deine Rezension. Hatte mit dem Hörbuch geliebäugelt, war aber nicht sicher weil noch keine anderen Rezensionen und noch nichts anderes von ihr gelesen. Ich denke jetzt wird’s wohl was werden. Dank dir 👍🏼
Ich freue mich, wenn ich dich ein wenig in Richtung "Über Menschen" stupsen konnte, das Buch ist eine lohnende und auch vergnügliche Lektüre.
Grüße
Klasse Video! Damit hast Du mich am Hals 👏
Hi Max, ich kann vieles aus deiner Rezension teilen. Da ich zwischen meinen Wohnsitzen in Berlin-Kreuzberg und in der Uckermark hin- und herpendle, war für mich die Lektüre besonders spannend. Dennoch hatte ich mit Doras Toleranz gegenüber Gote, dem Dorfnazi, ein Problem. Auch wenn sie im inneren Monolog sein rechtsradikales Denken und Tun ablehnt, geht sie kaum in die direkte Auseinandersetzung und blendet dieses zunehmend aus. Wäre Dora keine biodeutsche, weiße, heterosexuelle Frau gewesen, was wäre dann passiert? Hätte Gote seine neue Nachbarin, wenn sie Muslimin oder schwarz gewesen wäre, abgestochen oder ihr Haus abgefackelt, wie er das mit Flüchtlingsunterkünften tut? Daher frage ich mich, wie es Minderheiten geht, wenn sie dieses Buch lesen? Ich konnte aus meiner persönlichen Minderheiten-Perspektive dem Dorfnazi Gote gegenüber bis zuletzt kein bisschen Empathie entgegenbringen und erwischte mich nach seinem Ableben sogar bei dem Gedanken: gut so, nun können sich Schwule und Ausländer im Dorf ein Stück sicherer fühlen. Dora hat als heterosexuelle, weiße Deutsche das Privileg, auch wenn sie "links-liberal" denkt, mit einem Nazi als Nachbarn auskommen zu dürfen. Sie hat die Wahl, andere haben diese nicht. Dürfen wir, nur weil unser Nachbar auch ein netter Mensch ist, ihn in seinem Denken und Tun sein lassen, auch wenn er die Freiheit und das Leben anderer bedroht? Ist die Formel keine Haltung zu zeigen ("Nazis sind auch nur Menschen") als Gegenstück zu "zu viel" Haltung (Greta Thunberg: "How dare you?") wirklich der geeignete Weg aus einer gespaltenen Gesellschaft?
"Keine Haltung" zeigen stimmt nicht. Oder meintest Du ein anderes Buch?
Lieber Max, erst einmal vielen Dank für diese ausführliche und differenzierte Rezension. Weitaus besser, als was die Südeutsche z.B. dazu zu sagen hatte. Auch ein Interview mit der Autorin auf Arte war eher flach. Aber bei nur 6 Minuten Länge ist das wahrscheinlich auch nicht verwunderlich. Was die Sprache betrifft sagt sie da übrigens, dass sie sich als Unterhaltungsschriftstellerin sieht. Ansonsten habe sie der Topos der unmöglichen Beziehung gereizt. Nun ja.
Ich habe diesen Roman nicht gelesen und leider hat bisher nichts, was ich über ihn gehört habe dazu geführt, dass ich das ändern möchte (auch deine Rezension nicht). Das hat viele Gründe. Die zwei wichtigsten sind, dass ich im Moment keinen Corona-Roman brauche. Ich lebe in einem Land, in dem bisher nur 8% der Bevölkerung geimpft sind und der längste und restriktivste Lockdown Europas immer noch nicht aufgehoben ist. Das Thema ist mir zu nahe am alltäglichen Krampf.
Der andere Grund ist, die unmögliche Beziehung, die die Autorin so reizvoll findet. Ja, mir ist klar, dass sie als Provokation gedacht ist. Aber Provokation wozu, was ist da die Stoßrichtung? Mir, die ich aus einer vom Holocaust betroffenen Familie komme, ist nicht klar, was die Annäherung an Rechtsradikale bewirken soll. Ich fürchte, dass Juli Zeh mir nicht plausibel erklären kann wie die Debatte jenseits der Ideologien mit jemandem aussehen soll, der meine Existenz als Beweis dafür sieht, dass die Gaskammern nicht groß genug waren. Ich weiß halt nicht, wie das nicht einfach nur ins Verharmloserlager abrutschen kann, besonders wenn es dann auch noch mit einer dem Unterhaltungsroman entstammenden Sprache gepaart wird. Ob es bei Juli Zeh wirklich so ist, weiß ich nicht, fürchte aber, dass ich keine Lust habe, es herauszufinden.
Hallo, vielen Dank für deinen Kommentar! Ich habe etwas Zeit und Abstand gebraucht, um auf deine Fragen und Einwände zu antworten. Jetzt will ich das gerne tun, soweit ich das kann.
Zunächst einmal kann ich nachvollziehen, dass du keine Lust auf einen Roman zum Thema hast, das uns ohnehin überall entgegenschlägt - dieses Gefühl teilen vermutlich viele. Ich persönlich bin in der Hinsicht recht hart im Nehmen, vielleicht auch entsprechend unempfindlich. Ich informiere mich extrem gerne über Corona und die entsprechenden gesundheitlichen, rechtlichen und sonstigen Themen im Umkreis.
Auf deine Frage, was das Buch über den Umgang mit Holocaustleugnern oder Holocaustfans aussagen kann, kann ich nur antworten: Nichts.
Was sollte solche Taten rechtfertigen oder verständlich machen? Nichts!
Die Frage ist nur, ob du mit diesem Einwand Juli Zehs Roman triffst.
Der Antiheld Gote äußert sich homophob und sicher auch fremdenfeindlich, laut seiner Aussage ist er kein Nazi. Mit dem Holocaust hat dieser Roman ja nur dann zu tun, wenn wir Leser die Verbindungslinien entsprechend ziehen: gegen Ausländer - AfD - Nazi. Gote tut das nicht.
Diese Linien wählen sicher einige Menschen (und oft genug gibt es Indizien, die diesen Schluss nahe legen), aber sie sind nun mal nicht zwingend. Auch Gote und andere Dorfbewohner sind nicht so klar auf die menschenverachtenden Ideologien der Nazis zurückzuführen. Es gibt - so sagt der Roman wohl - für manche Menschen eine politische Heimat in der AfD, die nicht Neonazis sind. Ob wir - Linken, Toleranten, Progressiven etc. - den Dialog mit diesen Menschen suchen wollen, soll jeder für sich klären. Ich tue es jedenfalls.
Die Ineinssetzung von der Wahl der AfD, der Kritik der linken Politik und einer unterstellten Begrüßung des Holocaust ist eine unfaire (und mit meinem möglichst vorurteilsbewussten Streben nicht vereinbare) Verurteilung.
Das möchte ich dir jetzt auch gar nicht unterstellen. Ich vermute nur, dass Juli Zeh in Dora eine Figur erschaffen wollte, die sich zwischen dem totalitären Verhalten und Denken ihres linksliberalen Freundes und dem totalitären Verhalten und Denken des rechten Gotes wiederfindet. Wie werten wir Leser nun?
Diese Frage mag provozieren und vielleicht auch eine (unangebrachte) Parallelität der Meinungen andeuten - aber in meinen Augen trifft sie damit den wunden Punkt der gegenwärtigen Debatte.
Liebe Grüße
Respekt! Wie schafft man es, so viel über ein Buch zu schreiben, was man nicht gelesen hat?
@@svenmuller9468 Vielen Dank für den Kommentar! Nun ja, ich schreibe ja nicht über das Buch, sondern beschreibe meinen Entscheidungsprozess. Dabei habe ich natürlich auch etwas über das Buch herausgefunden, aber halt nur durch andere Medien gefiltert. Und ein Baustein in diesem Prozess ist eben Max Video. Eine, wie ich ja sage sehr gute Rezension. Dass ich seine Meinung nicht in allen Aspekten teile, schmälert das übrigens nicht im Geringsten.
Ansonsten noch einen schönen Sonntag!
Ich mag diese ausführlichen Buchbesprechungen. Jetzt frage ich mich, ob ich Unter Leuten zuerst lesen sollte...
Je weniger Toleranz ein Mensch erfährt umso weniger ist er bereit zu tolerieren.
Es hört sich interessant an! Ich müsste aber erst mal "Unter Leuten" lesen. Das Buch liegt schon zwei Jahre in meinem Bücherregal ungelesen. :(
Die Lektüre von Unterleuten ist sicher hilfreich als Vergleichsfläche für Über Menschen, aber direkt notwendig ist es nicht. Juli Zeh sieht zwischen Stadt und Land einen wesentlichen Unterschied, darum drehen sich einige ihrer Geschichten. Nur die Herleitung und Auslegung dieses Unterschieds ist in beiden Werken doch nicht zu vergleichen.
Liebe Grüße
Ich habe das Buch auch schon hier liegen. Vielen Dank für deine Rezension, freue mich jetzt umso mehr auf das Buch. PS: Hast du eine neue Kamera? Die Videoqualität war diesmal so gestochen scharf 😄
Sehr gerne!
Gut beobachtet, Sherlock, ich habe meine Canon-Kamera noch einmal ausgegraben und verwendet, da ich mittlerweile gerafft habe, wie ich die Daten auf den Computer bekomme - toll! Jetzt habe ich nur ein kleines Sound-Problem. Aber so ist wohl das Leben - ein Tappen von einer Baustelle in die nächste. ;-)
Grüße
Ich finde Zehs Sprache sehr gewählt. Man muss wohl bedenken, dass sie Juristin ist. Daher tendiert sie nicht zum blumigen. Allerdings habe ich Über Menschen noch nicht gelesen. Wahrscheinlich lese ich erstmal Unter Leuten. Ich erinnere mich, das ihr in der Vergangenheit vorgeworfenen wurde, ihre Sprache sei zu schön für den Buchinhalt. Auf alle Fälle darf man sich freuen so eine hochintelligente, politisch wache Schriftstellerin lesen zu dürfen! Für Unter Leuten hat sie übrigens 10 Jahre gebraucht sagt sie! Mit hineindenken!
Hallo Gero, danke für deinen Kommentar!
Juli Zehs beruflicher Hintergrund schimmert in einigen Werken merklich durch die Seiten, auch in Über Menschen musste ich einige Male daran denken. Besonders bei der Frage um Gotes Schuld bei einem Handgemenge auf einem Marktplatz. Hier wird die Schuldfrage nicht abschließend geklärt, sondern an den Leser delegiert. Auch ich genieße es, einen Roman einer intelligenten und politisch engagierten Autorin zu lesen!
Mein sprachlichen Eindruck ist da doch leicht abweichend. Zwar bewundere ich die dynamischen Figurenkonstellationen, die durch Zehs flotte Schreibe schnell in ihren Grundzügen erkennbar sind. Auch die Tonfälle der Wirtschaft und der Werbung kann sie gut nachahmen.
Aber die Innenperspektive, also alles, was ich eher das Psychologische nennen würde, gerät mir bei Zeh häufig zu sloganhaft und zu abrupt. Feine Nuancen und sanfte Prozesse in Figuren sehe ich da selten. Aber davon abgesehen finde auch ich ihre Sprache schön.
Grüße
Scheint eine echt interessante Idee von Juli Zeh zu sein :3
Habe vergangenen Monat ,,Leere Herzen'' von ihr gelesen, was eine ähnlich provokante Ausgangslage hat und sich auch zum Teil mit dem Rechtsruck in Deutschland beschäftigt. Lustigerweise spielt es in 2020 und nun ja ... es kam eben anders, wie wir alle wissen XD
Kann das Buch tatsächlich auch empfehlen, auch wenn mich das Ende etwas enttäuscht hat und sehr wirr war. Aber es war zynisch, und mit Zynismus kann man mich meistens abholen :3
,,Über Menschen'' wird wohl aber auch auf meine WuLi wandern :)
Sehr gut formulierte Rezi :3
~ Sana
Hallo Sana, danke für deine Antwort und den weiteren Tipp zu "Leere Herzen" (ein Buch, das ich auch schon gelesen habe und nicht so sehr mochte wie Unterleuten oder Über Menschen).
Ja, Juli Zeh hat offenbar ein ganz besonderes Faible für politische und soziale Extremsituationen, in denen ihre Heldinnen und Helden neue Wege finden und bestreiten müssen.
Ich finde das meistens auch sehr interessant und lasse mich gerne darauf ein.
Corpus Delicti, das auch als Schullektüre verwendet wird, fand ich zum Beispiel aber ziemlich schlecht. Da liegen Licht und Schatten (für mein Empfinden) nah beieinander.
Liebe Grüße
😊👍
Danke!
Hallo Max, ist js schon ne Weile her, dass ich das Buch gelesen habe. Grade bin ich auf define Rezension gestoßen, nachdem ich schon vor lànerer Zeit deinKanal abonniert habe. Um es direkt zu sagen: das Buch fand ich schlimm und schlimmer. Priviligierte vollkommen unsympathische Großstadtgöre mir super tollem Oberarzt-Daddy 😅, die es sich leisten kann, mal even ein altes Haus umzubauen und natürlich aus einer Berlin Werbefirma kommt ... oh je, wie laaangweilig! Aber das schlimmste ist die politics here Aussage: hey, wenn auch das Horst Wessel Lied gegrölt wird, ein Mann Krankenhaus reif von dem Nazi geschlagen wurde und er dann auch noch Lichtenhagen gefeiert hat, hey, was ist schon dabei. Auch der schrecklich Duumme Gote ist doch auch nur ein Mensch. Ach, wie süß er doch mit seiner verwarlosten Tochter umgeht... Ich kann nur für uns alle hoffen, dass uns diese Dummheit der Aussage von Juli Zeh mit der immer màchtigeren AfD nicht eines Tages um die Ohren gehauen wird und wir uns alley nicht fragen müssen: warm sind wir nicht früher eingeschritten. Abgesehen ist dieses ärgerliche Buch auch literarisch sehr sehr schlecht.
Über Menschen war das mit abstand schlechtestes Buch was ich die letzten 2 Jahre gelesen habe.