Minute 6:52, könnte man hier auch über einen Verbotsirrtum nachdenken, da er denkt, dass er nicht den Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllt (= Reichweite der Norm irrt), weil Luftrauslassen noch nicht den Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllt.... irrt man dann nicht auch in rechtlicher Hinsicht? Bin irgendwie etwas verwirrt.. (also ein vermeidbarer)
1) Doch, das Luftherausrauslassen erfüllt den Tatbestand von § 303. 2) Weil das Luftherauslassen sich auf beim objektiven Tatbestand abspielt (bei der Voraussetzung "beschädigen oder zerstören"), kommt hier nur ein Tatbestandsirrtum nach § 16 I StGB in Betracht. (Diesen prüfen wir beim subjektiven Tatbestand). Hier haben wir aber gesagt, dass wir nach der Laiensphäre auslegen müssen und uns fragen müssen, ob der Täter den rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalt erkannt hat. Dies haben wir hier bejaht, sodass wir keinen Tatbestandsirrtum nach § 16 I annehmen. Folglich entfällt der Vorsatz nicht nach § 16 I. Somit bejahen wir den Tatbestand. 3) Wenn im Sachverhalt stünde "T dachte, dass sei nicht strafbar, weil in seinem Land ist das ein kultureller Brauch die Luft abzulassen". Dann würde ich den Verbotsirrtum auf Ebene der Schuld noch in 1-2 Sätzen ansprechen und dort dann aber sagen, dass der definitiv vermeidbar war, sodass T auch schuldhaft handelte. 4) Das ist verständlich. Das ist eines der schwierigsten Themen im Strafrecht. Es ist aber wichtig, weil das auch bei der Abgrenzung von untauglicher Versuch und Wahndelikt relevant wird.
@@Der_Jurastudent Also erst einmal lieben Dank für diese schnelle und ausführliche Antwort wieder! Zudem ist sie auch sehr verständlich. 1) Genau, das habe ich auch so verstanden- 2) Verstehe ich auch so. 3) Auch das verstehe ich. Das ist ja der klassische Verbotsirrtum. Ich hab eben noch einmal nachgeschaut, wie ich darauf gekommen bin, dass es auch ein Verbotsirrtum sein könnte. In meinen Unterlagen ist ein Unterfall der "verbotsbezogene Subsumtionsirrtum" (irrt über die Reichweite einer Norm). Hier weiß der Täter ja auch, dass er Luft aus den Reifen lässt und was es bedeutet, was ja genügt. Aber er denkt ja, sein Verhalten erfasst noch nicht den Tatbestand der Sachbeschädigung... weshalb ja zutrifft, dass er über rechtliche Reichweite der Norm irrt...oder nicht?🥲 (Nachtrag: natürlich vermeidbar) 4) Aber ja, die Irrtümerproblematiken sind wirklich nicht ganz leicht...
Ja, du hast Recht, dass das ein Verbotsirrtum wäre. Ich würde dir nur empfehlen ein bisschen auf deine Formulierung aufzupassen. Dein letzter Satz hat mich etwas verwirrt. (Vielleicht liegt es aber auch an mir 🤣) Ich würde immer schreiben, dass der Tatbestand vollständig erfasst wurde und dann im Nebensatz schreiben, dass er aber die rechtliche Reichweite verkannt hat. Hier auch nochmal die Passage aus dem Lehrbuch (Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT 51. Auflage Rn. 360): "Wenn A dem B die Luft aus dem Reifen seines Kraftwagens lässt, würde die irrige Ansicht, dass dies mangels Substanzverletzung keine Beschädigungshandlung i.S.d. § 303 sei, den Vorsatz nicht in Frage stellen. Ein solcher Subsumtionsirrtum wäre kein Tatbestandsirrtum i.S.d. § 16 I 1, weil A richtig erkannt hat [Parallelwertung in der Laiensphäre], dass er die bestimmungsgemäße Brauchbarkeit des Kraftwagens beeinträchtigt. Auch die Vorstellung sich "nicht strafbar zu machen", ist für § 16 I 1 belanglos, da es auf die Kenntnis der Strafbarkeit als solche im Strafrecht nicht ankommt. Bedeutung kann ein Subsumptionsirrtum außerhalb des VOrsatzbereichs gewinnen, wenn er dem Täter die "Einsicht nimmt, Unrecht zu tun", sodass dieser einem Verbotsirrtum i.S.d. § 17 erliegt."
Minute 6:52, könnte man hier auch über einen Verbotsirrtum nachdenken, da er denkt, dass er nicht den Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllt (= Reichweite der Norm irrt), weil Luftrauslassen noch nicht den Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllt.... irrt man dann nicht auch in rechtlicher Hinsicht? Bin irgendwie etwas verwirrt.. (also ein vermeidbarer)
1) Doch, das Luftherausrauslassen erfüllt den Tatbestand von § 303.
2) Weil das Luftherauslassen sich auf beim objektiven Tatbestand abspielt (bei der Voraussetzung "beschädigen oder zerstören"), kommt hier nur ein Tatbestandsirrtum nach § 16 I StGB in Betracht. (Diesen prüfen wir beim subjektiven Tatbestand). Hier haben wir aber gesagt, dass wir nach der Laiensphäre auslegen müssen und uns fragen müssen, ob der Täter den rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalt erkannt hat. Dies haben wir hier bejaht, sodass wir keinen Tatbestandsirrtum nach § 16 I annehmen. Folglich entfällt der Vorsatz nicht nach § 16 I. Somit bejahen wir den Tatbestand.
3) Wenn im Sachverhalt stünde "T dachte, dass sei nicht strafbar, weil in seinem Land ist das ein kultureller Brauch die Luft abzulassen". Dann würde ich den Verbotsirrtum auf Ebene der Schuld noch in 1-2 Sätzen ansprechen und dort dann aber sagen, dass der definitiv vermeidbar war, sodass T auch schuldhaft handelte.
4) Das ist verständlich. Das ist eines der schwierigsten Themen im Strafrecht. Es ist aber wichtig, weil das auch bei der Abgrenzung von untauglicher Versuch und Wahndelikt relevant wird.
@@Der_Jurastudent Also erst einmal lieben Dank für diese schnelle und ausführliche Antwort wieder! Zudem ist sie auch sehr verständlich.
1) Genau, das habe ich auch so verstanden-
2) Verstehe ich auch so.
3) Auch das verstehe ich. Das ist ja der klassische Verbotsirrtum.
Ich hab eben noch einmal nachgeschaut, wie ich darauf gekommen bin, dass es auch ein Verbotsirrtum sein könnte. In meinen Unterlagen ist ein Unterfall der "verbotsbezogene Subsumtionsirrtum" (irrt über die Reichweite einer Norm). Hier weiß der Täter ja auch, dass er Luft aus den Reifen lässt und was es bedeutet, was ja genügt. Aber er denkt ja, sein Verhalten erfasst noch nicht den Tatbestand der Sachbeschädigung... weshalb ja zutrifft, dass er über rechtliche Reichweite der Norm irrt...oder nicht?🥲 (Nachtrag: natürlich vermeidbar)
4) Aber ja, die Irrtümerproblematiken sind wirklich nicht ganz leicht...
Ja, du hast Recht, dass das ein Verbotsirrtum wäre. Ich würde dir nur empfehlen ein bisschen auf deine Formulierung aufzupassen. Dein letzter Satz hat mich etwas verwirrt. (Vielleicht liegt es aber auch an mir 🤣) Ich würde immer schreiben, dass der Tatbestand vollständig erfasst wurde und dann im Nebensatz schreiben, dass er aber die rechtliche Reichweite verkannt hat.
Hier auch nochmal die Passage aus dem Lehrbuch (Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT 51. Auflage Rn. 360): "Wenn A dem B die Luft aus dem Reifen seines Kraftwagens lässt, würde die irrige Ansicht, dass dies mangels Substanzverletzung keine Beschädigungshandlung i.S.d. § 303 sei, den Vorsatz nicht in Frage stellen. Ein solcher Subsumtionsirrtum wäre kein Tatbestandsirrtum i.S.d. § 16 I 1, weil A richtig erkannt hat [Parallelwertung in der Laiensphäre], dass er die bestimmungsgemäße Brauchbarkeit des Kraftwagens beeinträchtigt. Auch die Vorstellung sich "nicht strafbar zu machen", ist für § 16 I 1 belanglos, da es auf die Kenntnis der Strafbarkeit als solche im Strafrecht nicht ankommt. Bedeutung kann ein Subsumptionsirrtum außerhalb des VOrsatzbereichs gewinnen, wenn er dem Täter die "Einsicht nimmt, Unrecht zu tun", sodass dieser einem Verbotsirrtum i.S.d. § 17 erliegt."