Ich arbeite als Psychologe in der Rehabilitation und mein Eindruck ist, dass derartige Metastudien oder, besser gesagt, die häufig zu Grunde liegenden Maße, nur ein sehr unzureichendes Gesamtbild ergeben. Ganz konkret: Der "Real world impact" oder die zu erzielenden Effektstärken mit lebenspraktischer Bedeutung, scheinen doch häufig sehr mäßig zu sein. Ich habe in den letzten Jahren weniger Patienten gesehen, die wirklich einen fundamentalen Wandel unter der Medikation hingelegt haben, als mehr Patienten, bei denen die Medikamente „etwas“ geholfen haben. Nicht selten kommen Patienten vor, die 10 Jahre, 12 Jahre, 15 Jahre alle möglichen Medikamente durchprobiert haben und man sich fragt, was es jetzt eigentlich substanziell gebracht hat. Wenn man sie dann fragt, erhält man dann Antworten, bei denen nicht klar ist, inwiefern wirklich ein Effekt berichtet wird oder einfach sozial erwünscht geantwortet wird: „Es hilft schon etwas“ oder „ich kann etwas besser schlafen“. Dazu kommt, wie Sie auch andeuten, dass diese Medikamente teilweise sehr schnell und nach völlig unzureichender Diagnostik verschrieben werden (typische Aussage nach dem fünfminütigen Arztgespräch: „Probieren Sie die mal und lassen Sie sich vorne einen Termin in drei Monaten geben“) und Antipsychotika immer häufiger off-label verschrieben werden, was auch nicht selten etwas von einer Verzweiflungstat hat. Damit will ich den Sinn der Medikamente noch nicht mal kleinreden, als mehr qualitativ einordnen: Medikamente sind ein Baustein und vielleicht auch ein bereits initial bedeutsamer. Aber weder korrigieren sie alleinig die Psychopathologie, noch ersetzen sie andere Interventionen und Wirkfaktoren. Und gerade zu letzteren zähle ich auch sehr viele „informelle Therapien“, sprich: Die Wiederherstellung eines günstigen sozialen Netzes, eine berufliche Wiedereingliederung, die Arbeit durch den Patienten an der nicht selten problematischen (weil maladaptiven) Persönlichkeitsstruktur. Vor allem bedarf es Zeit, Stabilität und guter Einbindung. Dazu kommen dann noch die Medikamente als weiterer Baustein. Sie sind aber, genau so wenig wie eine Psychotherapie, der alleinige Schlüssel zum Erfolg. Wenn wir in unseren Professionen ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass unsere psychologisch-psychiatrische Reichweite doch häufig sehr begrenzt ist.
Alle möglichen Medikamente werden leider nicht durchprobiert, schon gar nicht in Kombination. Die einzigen Medikamente, die sicher antriebssteigernd wirken, die Stimulantien, werden z.B. komplett ausgelassen. Auch Primärstörungen wie Narkolepsie, SBAS, ADHS, Asperger usw. werden komplett ignoriert. Die meisten AD, besonders im ambulaten Bereich, werden in Dosierungen verordnet, die gar nicht wirken können, ein Spiegel wird gar nicht erst bestimmt usw.
Sehr interessant! Wie ist es im sepziellen Fall der schweren Depression mit psychotische Symptomen (Verarmungswahn), behandelt mit Venlafaxin niedrig dosiert mit 75mg (Escitalopram schlug davor beim Patienten nicht an) in Kombination mit Olanzapin 5 mg, sowie eine Zeit lang Mirtazapin (mittlerweile erfolgreich abgesetzt, ohne Absetzsyndrome): Der Patient ist nicht mehr stationär, weiterhin müde und antriebslos, oft verängstigt (vor allem, wenn es um Eigentum/Finanzen, das Verlassen der Wohnung geht) und entscheidungsschwach, hat jedoch keine Halluzinationen, grübelt wahrscheinlich noch häufig, hat keinerlei soziale Kontakte, obwohl er daran sehr interessiert zu sein scheint (Patient ist sehr schweigsam und grundsätzlich zustimmungsgeneigt), schläft jedoch lieber tagsüber zu Hause, erledigt keine "Hausaufgaben", die im die Psychotherapie und sein Umfeld raten (Erfolgstagebuch, Übersicht über seine finaziellen Ausgaben, 10.000 Schritte pro Tag, Meditaionen etc.), ist einer Erhöhung von Venlafaxin, die ihm die Pyschater raten, eher abgeneigt (aus Angst vor dem Nebenwirkungsprofil), zieht dies jedoch, bei Verschlechterung - spontan und kurzzeitig - doch wieder in Erwägung. a) Wann macht eine Erhöhung in so einem Fall guten Sinn? Wann keinen? b) Was kann man sich von einer Erhöhung an besserer Wirksamkeit versprechen? Welche validen Studien gibt es dazu für diese Fallkonstellation oder vergleichbare, die dafür relevant sind? c) Wie ist es überhaupt mit der Wirksamkeit bei schweren Depressionen? Gilt dort auch die Effektstärke von 0,3 über Placebo? d) Es wird angenommen, dass die schwere Depression keine primär organische Ursache hat, sondern mehr pyscho-reaktiv ist/war (Eintritt in die Rente, veränderte Lebensphase, Perfektionismus, der sich im Alter zuspitzt etc.): spielt das für die Wirksamkeit der Medikamente eine Rolle? Wenn ja, welche?
Traurig, dass irgendwelche Psychosen diagnostiziert werden und jemand mit Psychopharmaka zugedröhnt werden soll, nur weil er Existenzängste hat. Vielleicht sollte man mal die Kirche im Dorf lassen. Ich hatte auch mal einen Therapeuten, der mir erzählt hat, wieviel Geld er mit seiner Praxis verdient und dass das eine Goldgrube ist, während ich nicht wusste wie es finanziell weitergehen soll. Da zeigt sich das krude System, wo Ungleichheiten und die daraus resultierenden psychischen Probleme mit Psychopharmaka "weggezaubert" werden sollen. Dagegen muss man kämpfen.
Ich arbeite als Psychologe in der Rehabilitation und mein Eindruck ist, dass derartige Metastudien oder, besser gesagt, die häufig zu Grunde liegenden Maße, nur ein sehr unzureichendes Gesamtbild ergeben. Ganz konkret: Der "Real world impact" oder die zu erzielenden Effektstärken mit lebenspraktischer Bedeutung, scheinen doch häufig sehr mäßig zu sein. Ich habe in den letzten Jahren weniger Patienten gesehen, die wirklich einen fundamentalen Wandel unter der Medikation hingelegt haben, als mehr Patienten, bei denen die Medikamente „etwas“ geholfen haben. Nicht selten kommen Patienten vor, die 10 Jahre, 12 Jahre, 15 Jahre alle möglichen Medikamente durchprobiert haben und man sich fragt, was es jetzt eigentlich substanziell gebracht hat. Wenn man sie dann fragt, erhält man dann Antworten, bei denen nicht klar ist, inwiefern wirklich ein Effekt berichtet wird oder einfach sozial erwünscht geantwortet wird: „Es hilft schon etwas“ oder „ich kann etwas besser schlafen“. Dazu kommt, wie Sie auch andeuten, dass diese Medikamente teilweise sehr schnell und nach völlig unzureichender Diagnostik verschrieben werden (typische Aussage nach dem fünfminütigen Arztgespräch: „Probieren Sie die mal und lassen Sie sich vorne einen Termin in drei Monaten geben“) und Antipsychotika immer häufiger off-label verschrieben werden, was auch nicht selten etwas von einer Verzweiflungstat hat.
Damit will ich den Sinn der Medikamente noch nicht mal kleinreden, als mehr qualitativ einordnen: Medikamente sind ein Baustein und vielleicht auch ein bereits initial bedeutsamer. Aber weder korrigieren sie alleinig die Psychopathologie, noch ersetzen sie andere Interventionen und Wirkfaktoren. Und gerade zu letzteren zähle ich auch sehr viele „informelle Therapien“, sprich: Die Wiederherstellung eines günstigen sozialen Netzes, eine berufliche Wiedereingliederung, die Arbeit durch den Patienten an der nicht selten problematischen (weil maladaptiven) Persönlichkeitsstruktur. Vor allem bedarf es Zeit, Stabilität und guter Einbindung. Dazu kommen dann noch die Medikamente als weiterer Baustein. Sie sind aber, genau so wenig wie eine Psychotherapie, der alleinige Schlüssel zum Erfolg. Wenn wir in unseren Professionen ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass unsere psychologisch-psychiatrische Reichweite doch häufig sehr begrenzt ist.
Ich kann vielen dieser Aussagen nur zustimmen.
Alle möglichen Medikamente werden leider nicht durchprobiert, schon gar nicht in Kombination. Die einzigen Medikamente, die sicher antriebssteigernd wirken, die Stimulantien, werden z.B. komplett ausgelassen. Auch Primärstörungen wie Narkolepsie, SBAS, ADHS, Asperger usw. werden komplett ignoriert. Die meisten AD, besonders im ambulaten Bereich, werden in Dosierungen verordnet, die gar nicht wirken können, ein Spiegel wird gar nicht erst bestimmt usw.
Vielen Dank!!!
Deutlich, klar, komprimiert!
Wann darf man die "Antipsychotika" erwarten?
Vielen Dank im Voraus!
Antipsychotika kommen in den nächsten wenigen Tagen.
@@gerhardgrunder8440
Vielen Dank!
Danke 🙏🏻 🙏🏻🙏🏻
Sehr interessant! Wie ist es im sepziellen Fall der schweren Depression mit psychotische Symptomen (Verarmungswahn), behandelt mit Venlafaxin niedrig dosiert mit 75mg (Escitalopram schlug davor beim Patienten nicht an) in Kombination mit Olanzapin 5 mg, sowie eine Zeit lang Mirtazapin (mittlerweile erfolgreich abgesetzt, ohne Absetzsyndrome): Der Patient ist nicht mehr stationär, weiterhin müde und antriebslos, oft verängstigt (vor allem, wenn es um Eigentum/Finanzen, das Verlassen der Wohnung geht) und entscheidungsschwach, hat jedoch keine Halluzinationen, grübelt wahrscheinlich noch häufig, hat keinerlei soziale Kontakte, obwohl er daran sehr interessiert zu sein scheint (Patient ist sehr schweigsam und grundsätzlich zustimmungsgeneigt), schläft jedoch lieber tagsüber zu Hause, erledigt keine "Hausaufgaben", die im die Psychotherapie und sein Umfeld raten (Erfolgstagebuch, Übersicht über seine finaziellen Ausgaben, 10.000 Schritte pro Tag, Meditaionen etc.), ist einer Erhöhung von Venlafaxin, die ihm die Pyschater raten, eher abgeneigt (aus Angst vor dem Nebenwirkungsprofil), zieht dies jedoch, bei Verschlechterung - spontan und kurzzeitig - doch wieder in Erwägung. a) Wann macht eine Erhöhung in so einem Fall guten Sinn? Wann keinen? b) Was kann man sich von einer Erhöhung an besserer Wirksamkeit versprechen? Welche validen Studien gibt es dazu für diese Fallkonstellation oder vergleichbare, die dafür relevant sind? c) Wie ist es überhaupt mit der Wirksamkeit bei schweren Depressionen? Gilt dort auch die Effektstärke von 0,3 über Placebo? d) Es wird angenommen, dass die schwere Depression keine primär organische Ursache hat, sondern mehr pyscho-reaktiv ist/war (Eintritt in die Rente, veränderte Lebensphase, Perfektionismus, der sich im Alter zuspitzt etc.): spielt das für die Wirksamkeit der Medikamente eine Rolle? Wenn ja, welche?
Es tut mir leid, aber es ist mir unmöglich, bei derart komplexen Konstellationen bei TH-cam zu beraten.
Traurig, dass irgendwelche Psychosen diagnostiziert werden und jemand mit Psychopharmaka zugedröhnt werden soll, nur weil er Existenzängste hat. Vielleicht sollte man mal die Kirche im Dorf lassen. Ich hatte auch mal einen Therapeuten, der mir erzählt hat, wieviel Geld er mit seiner Praxis verdient und dass das eine Goldgrube ist, während ich nicht wusste wie es finanziell weitergehen soll. Da zeigt sich das krude System, wo Ungleichheiten und die daraus resultierenden psychischen Probleme mit Psychopharmaka "weggezaubert" werden sollen. Dagegen muss man kämpfen.